Montag, 24. Dezember 2007

Ni dieu, ni maître, ni Noël

Heute feiern alle Christen die Geburt des Christkindes (außer denen, die die Gregorianische Kalenderreform noch immer nicht anerkennen). Denn schließlich heißt es in Joh. 3, 1-3: "Es begab sich aber am vierundzwanzigsten Tage des Monats Dezember, im Jahr 7 v.Chr., dass in Bethlehem das Christkind geboren ward. Doch der Herr bewirkte in seiner unermesslichen Gnade, dass durch ein Wunder der Hymen der Heiligen Jungfrau Maria beim Geburtsvorgang unversehrt blieb. Die Engelein auf dem Dache schmetterten zu Fanfarenklängen 'Last Christmas' von 'Wham!'."

Für alle, die lieber eine Tasse im Schrank als einen Engel auf dem Dach haben, gibt es heute aber auch noch anderes zu feiern. Zum Beispiel besteht eine Chance von vier zu 1461, dass es ein 24. Dezember war, an dem Lucretia von einem Sohn des letzten römischen Königs vergewaltigt wurde und sich daraufhin des Leben nahm; laut Überlieferung der Auslöser für den Sturz des Königtums und die Errichtung der römischen Republik. Außerdem wurde Lucretias Verhalten sowohl von heidnischen Römern als auch, Jahrhunderte später, von den Christen als vollkommene Verkörperung der Tugend der Keuschheit gepriesen. Naja. Hätte sie mal lieber den Vergewaltiger umgebracht. Mein Lieblingsbild zu diesem Thema stammt von Il Sodoma (1513). Hätte Lucretia gewusst, dass sie zweitausend Jahre später SO gemalt werden würde, hätte sie es sich vielleicht nochmal anders überlegt:
Viel lieber mag ich da eine andere Geschichte, die ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von vier zu 1461 an einem 24. Dezember stattgefunden hat: Beim Diskuswerfen, der antiken Variante von Frisbee, wobei allerdings mit Tonscheiben operiert wurde, da es ja noch kein Plastik gab - beim Diskuswerfen also verursachte kein Geringerer als Apollon den tragischsten Sportunfall aller Zeiten. Um seinen jungen Favoriten, den wunderschönen Hyazinth, zu beeindrucken, schleuderte er den Diskus mit aller Kraft. Hyazinth, nicht minder bestrebt, Eindruck auf seinen göttlichen Liebhaber zu machen, rannte so schnell er konnte, um die Scheibe zu fangen. Allerdings erwischte eher der Diskus den Jungen als umgekehrt, und Hyacinth war dahin. Der arme Apollon konnte nichts mehr tun, als, bittere Tränen weinend, aus dem Blut des Jünglings eine Blume, die Hyazinthe, wachsen zu lassen.
Kann man sich eine anrührendere Geschichte vorstellen? Ich jedenfalls nicht. Jean Broc ebenfalls nicht, wie sein wunderbares Ölgemälde von 1801 beweist (welches das Geschehen freilich nicht im Dezember, sondern in eher sommerlicher Umgebung verortet):

16 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"Kann man sich eine anrührendere Geschichte vorstellen? Ich jedenfalls nicht."

hoffentlich steht dieser beitrag nicht für einen wandel eures politischen, konformismuskritischen blogs zur infotainment-site für die vermittlung freischwebenden kanonwissens an bildungsschmocks und höhere töchter.

spit_Z hat gesagt…

Pffz! Wir sind eben ein sehr vielseitiges blog!

Außerdem ist unserer Ansicht nach eine umfassende, AUCH humanistische Bildung der revolutionären Avantgarde unerlässlich, wenn die Vision vom "Stalinismus mit menschlichem Antlitz" Wirklichkeit werden soll.

Anonym hat gesagt…

was ist eigentlich mit "freischwebendem kanonwissen" gemeint? "freischwebend" im gegensatz zu welcher anderen art von kanonwissen? oder ist kanonwissen immer freischwebend? weil man ja selber nicht dabei war? oder weil es nicht polytechnisch ist? oder hab ich da mal wieder die ironie nicht kapiert?

Anonym hat gesagt…

"freischwebend" im sinne von austauschbar, unkritisch, beliebig, zufällig, nicht an hinderliche es intellektuell oder erkenntnisgemäß beschränkende kriterien gebunden.
und ja, kanonwissen (im vermarktungssinn) hat immer diese eigenschaften, würde ich sagen.

T☺bias hat gesagt…

Was ich voll komisch finde und mich total überrascht hat: Auf www.welt.de sind doch immer so Umfragen an die Online-Leser. Vor Weihnachten haben auf die Frage "Wo kaufen Sie Ihre Weihnachtsgeschenke vor Allem?" 34%geantwortet: "Ich kaufe keine Geschenke". Gut, dachte ich mir, es leben ja auch viele Leute auf dem Land, die basteln vielleicht ihre Geschenke noch selber. Aber dann nach Weihnachten, eine weitere Umfrage: "Waren Sie mit Ihrem Weihnachtsgeschenk zufrieden?" - und wieder sind es 34%, die auf "Ich habe nichts bekommen" klickten. Bei beiden Umfragen wurden jeweils weit über 1000 Stimmen abgegeben. Und ich hatte immer gedacht, dass jeder Weihnachten feiert! Mit Geschenken! Wo soll das nur alles hinführen? Die ganzen Traditionen gehen verloren.

Umfrage:
Wer von den Spitzbouben und ihren Lesern feiert denn noch kein Weihnachten? Antworten bitte als Kommentar abgeben.

Anonym hat gesagt…

Also ich habe Weihnachten wie immer boykottiert und an keinerlei familiärer oder sonstiger Feier teilgenommen. (Dennoch konnte ich nicht verhindern, ein paar Geschenke zu bekommen. Und Weihnachtsplätzchen. - Gut, ich habe auch nicht versucht, das zu verhindern.)
Was denn sonst? Feiert denn hier etwa jemand von unseren Lesern Weihnachten? Gehören unsere Leser etwa auch zur Schar derjenigen, die pünktlich zu Weihnachten ihre selbstgewählten Wohnorte verlassen um brav, wie es sich gehört, in die Gefilde der familiären Heimat zu pilgern und dort im Kreise der Verwandtschaft blöde womöglich noch in Sichtweite eines kitschig behängten Tannenbaumes zu sitzen und hässliche Geschenke auszupacken und viel zu süßen Süßkram in sich reinzustopfen!? Ich bin entsetzt! Wirklich, zu Weihnachten und Sylvester beugen sich noch die rebellischsten Anarchisten und Verweigerer dem allgemeinen "Ausgehzwang" bzw. Nach-Hause-Fahr-Zwang...

Anonym hat gesagt…

Ich seh das ganze dialektisch: Weihnachten verachte ich, aber ich fahr trotzdem nach hause. Sorry, aber bin halt krasser Dialektiker...

T☺bias hat gesagt…

Wir haben sogar eine fette Lichterkette draußen am Haus hängen. Seit erstem Advent, sie hängt immer noch und ist den ganzen Tag eingeschaltet. Frühenstens an Heilig-Drei-König wird sie wieder weggepackt.

Silvester war auch funny. Erst ging der Raclettegrill nicht gescheit und wurde nur unzureichend warm. Bis mein Vater die rettende Idee hatte: "Ich hab da noch einen Überspannungs-Trafo in der Garage". Mit dem haben wir dem kaputten Gerät dann einfach 260 statt 230 Volt zugeführt und es wurde doch noch was mit dem Raclette!

spit_Z hat gesagt…

Lieber Tee D'Or,
dialektisch, soso. Ja, doch. Volle Kanne dialektisch, das. Noch dialektischer wäre freilich, wenn Du an einem Weihnachtsplätzchen ersticktest und anschließend von Maden aufgefressen würdest, welche ob dieser verdorbenen Mahlzeit zum revolutionären Subjekt mutierten. DAS wäre doch mal dialektisch. Oder dialektisch ist auch folgendes: Wenn Du auf dem Klo sitzt, und die Scheiße nach UNTEN plumpst, obwohl Du doch von OBEN drückst! Da kamen auch Hegel immer die besten Ideen. Also nächstes mal einfach Kopfstand und Mund auf!

Anonym hat gesagt…

Lieber Spitz! Wäre ich sensibel, würde ich deine Erwiderung auf meine harmlose Selbstironie geschmacklos und plump finden. Ich würde dann sagen: deine Antworten sind wie immer nur ebenso intelligent wie deine Meinung von dir. Aber ich bin gar nicht so und übergehe deine Antwort mit Schweigen.

Anonym hat gesagt…

@ Tee D'Or: Hallo und ein herzliches Willkommen im Kreis der unter einem Pseudonym Schreibenden hier im "Spitznamenblog"!

@ spit_Z: Du feierst also Weihnachten nicht. Aber Du hast doch nicht wirklich was dagegen, dass andere Jesu Geburt feiern, oder? Ich meine, das ist halt so Tradition, egal ob es am 24. Dezember war oder nicht. Sogar Richard Dawkins hat gesagt: "I like singing carols along with everybody else. I'm not one of those who wants to purge our society of our Christian history". Hallo!? Das ist Richard Dawkins, der Hardcore-Atheist!

Anonym hat gesagt…

langweilig...

spit_Z hat gesagt…

@ haratio: Richard Dawkins? Hardcore? *Seufz* Wir sind hier nicht im Feuilleton! Wir sind hier im gruseligen und todesgefährlichen Reich der überall Angst und Schrecken verbreitenden SPITZBOUBEN-Bande. Kein Gedankenverbrechen ist schlimm genug, um es uns nicht zuzutrauen, selbst Weihnachten-scheiße-Finden! Ja, selbst die Fußball-WM 2006 fand ich schlimm und verachte zutiefst alle, die jemals freiwillig eine Fanmeile betreten haben!

Jedenfalls, unter einem Hardcore-Atheisten stelle ich mir ein bisschen was hardcorigeres vor als Dawkins. Ich halte ja auch nicht die taz für hardcore-links.

Außerdem verwechselst Du mich offenbar mit be.

@tee d'or: Wer sich der Ironie bedient, sollte auch in der Lage sein, den Schierlingsbecher mitzudenken. "Harmlose" Selbstironie ist eine faule Ausrede für die Akkomodation ans falsche Bewusstsein.

Anonym hat gesagt…

Guten Tag allerseits!

Hyakinthos war nicht der Einzige! Es gibt noch eine traurigere Geschichte, wie uns Karl Kerenji erzählt:
" Unter den Knaben, die Apollon liebte, wird auch einer mit Namen Kyparissos, die 'Zypresse', genannt. In allen diesen Erzählungen sind die schönen Knaben Doppelgänger des Apollon selbst. Kyparissos war es schon insofern, als auch er ein geliebts Wesen ohne Absicht tötete, wie Apollon den Hyakinthos. Das geliebte Wesen war ein Hirsch, wie jene, von denen schon gesagt wurde, dass sie dem Apollon und der Artemis heilig waren. er hatte ein mächtiges, vergoldetes Geweih, an der Stirn trug er silbernen Schmuck. Er war zahm und Kyparissos, der junge Jäger, verwechselte es mit einem gewöhnlichen Jagdwild. Er warf seinen Speer und war untröstlich, als er entdeckte, dass er seinen Liebling traf. Sterben wollte er oder ewig um das geliebte Wesen trauern. Die einzige Heilung, die ihm Apollon gewähren konnte, war, dass er den trauernden Knaben in einen trauernden Baum, die Zypresse, verwandelte, in einen ewig grünen Baum, in dem Kyparissos ewig lebt."

Aus: 'Die Mythologie der Griechen, Bd I'

Anonym hat gesagt…

streber!

ana_bolika hat gesagt…

also wirklich. woher kommt eigentlich der negative touch des wortes 'streber'. ich beglückwünsche grundsätzlich menschen, die nach etwas streben. obwohl ich natürlich zugeben muss, dass es nicht karl kerenji ist, nach welchem ich zu streben gewillt bin.
außerdem ist die griechische mythologie das unterhaltsamste lesebuch, dass man finden kann. herakles ist mein persönlicher liebling. vergleichbar mit bud spencer. vielleicht auch nicht ganz, da bud spencer durchaus weiß, wen er wie verprügeln möchte. dem großen herakles passiert es einfach...