Sonntag, 4. März 2007
Die Erleuchtung des Ernst Torben Saalreiter
"Ich erkannte, dass mein bisheriges Leben ein Irrtum gewesen war. Das völlige Scheitern meines Lebens war die Gnade, die mir zuteil wurde, damit daraus die völlige Bekehrung entsprieße. Ich verlor alles, um alles zu erhalten. Meine Armut war meine Reinheit, meine Reinheit war mein Reichtum. Ich hatte nichts mehr außer mir selbst, und es gab für mich keine Zukunft. So gab ich mich auf. So warf ich mich weg. So saß ich im Wald und aß nicht und trank nicht. So saß ich drei Tage lang, und ich war nackt. Dann stand ich auf und ging Tag und Nacht gen Sonnenuntergang. Jeder Schritt brachte mich 3 Zentimeter voran, dauerte drei Minuten und gebar 3 Erleuchtungen. So schritt ich drei weitere Tage und Nächte und mir wurden viele Erleuchtungen zuteil, nämlich 4320. Es waren aber 240 Erleuchtungen, denn jede Erleuchtung kam mir drei mal an jedem Tag, und in jeder Nacht wiederholten sich alle Erleuchtungen des Tages. Doch die größte Erleuchtung kam mir nach dem letzten Schritt, und ich hielt inne. Denn vor mir war ein großer Misthaufen mit vielen Fliegen, und ich erkannte in jeder Fliege eine Erleuchtung. Und wie die Fliegen um jenen Misthaufen kreisten, kreiste jede Erleuchtung um die Große Weisheit. So legte ich mich in den Misthaufen, auf dass mir die Große Weisheit zuteil werde. Und dort lag ich weitere drei Tage, in den Nächten aber stand ich auf und verfolgte die Fliegen. Denn die Fliegen erschienen am Tag, aber sie verschwanden in der Nacht. So auch erscheint uns die Weisheit des Tags, doch entschlüpft sie uns in der Nacht. In der ersten Nacht aber traf ich einen Maulwurf, und ich sah, er war blind. Für ihn gab es weder Tag noch Nacht, und so versteht er nicht, warum die Fliegen entschwinden, denn er weiß nichts von der Tageszeit. In der zweiten Nacht aber traf ich eine Eule, und für sie war der Tag die Nacht und die Nacht der Tag, und weiß war für sie schwarz. Denn wie für uns die Nacht zu dunkel ist zum Sehen, so ist für sie der Tag zu hell. Am dritten Tag aber war Neumond, und ich lief gegen einen Baum, denn es war so dunkel, ich konnte ihn nicht sehen. Und ich blieb liegen bis zum Morgen, und ich erkannte, für den Baum ist jeder Tag ein einatmen und jede Nacht ein ausatmen. Und ich kehrte am dritten Morgen zurück zu dem Misthaufen, und ich sah den Weg zur Großen Weisheit. Ich legte mich in den Misthaufen wie jeden Tag, aber diesmal sank ich ein ins Innere des Misthaufens, und der Mist umschloss mich und machte dunkel den Tag wie die Nacht. Und ich hörte auf zu atmen. Und im Misthaufen waren Tag und Nacht eins, und ich erkannte, dass der Misthaufen die Fliegen gebar wie die Große Weisheit die Erleuchtungen. Doch wie die Fliegen nur am lichten Tag aus dem Misthaufen entspringen können, so werden die Menschen erleuchtet am Tag, aber in der Nacht verlieren sie die Gnade. Und ich nahm den Misthaufen in mich auf, und er durchdrang mich. Und ebenso nahm ich die Weisheit in mich auf, und sie durchdrang mich. Und die Weisheit ergoss sich in mich. Und als ich wieder aufstand, war die Sonne versunken, doch die Nacht war hell wie der Tag, denn ich trug den Samen der Großen Weisheit in mir, und er gebar Erleuchtungen noch und noch. Und ich sage euch: Das war der Bodhi-Misthaufen."
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