In diesem Post werde ich versuchen, die Einleitung von Robert Brandoms faszinierenden Tales of the Mighty Dead zusammenzufassen und zu kommentieren. In der Einleitung stellt Brandom fünf Begriffe oder Modelle von Rationalität vor, zeigt Beziehungen zwischen ihnen auf und bewertet sie.
Die fünf Modelle von Rationalität sind die folgenden:
- logische
- instrumentelle
- interpretierende (interpretative?)
- inferentielle
- historische Rationalität.
Die Einleitung ist im Wesentlichen wie folgt aufgebaut: Die Modelle der logischen und instrumentellen Rationalität werden vorgestellt und zurückgewiesen. Die Mängel, deren sie bezichtigt werden, sind jeweils ähnliche. Das Modell der interpretierenden Rationalität wird als bereits bekannte und von Davidson vertretene Alternative vorgestellt. Anschliessend präsentiert Brandom sein eigenes Modell der inferentiellen Rationalität, das er in Making It Explicit im Detail ausgearbeitet hat, als eine Weiterentwicklung von Davidsons Modell. In einem letzten Schritt wird das Modell der inferentiellen Rationalität durch das Modell der historischen Rationalität ergänzt.
Den Modellen der logischen und instrumentellen Rationalität zufolge besteht Rationalität in der Fähigkeit, gute von schlechten Argumenten zu unterscheiden. Der Unterschied zwischen beiden Modellen betrifft die Art von Aussagen, die als Prämissen und Konklusion in den Argumenten vorkommen. Das Modell der logischen Rationalität wird in erster Linie auf Argumente angewendet, in denen ausschliesslich Ueberzeugungen als Prämissen und Konklusion vorkommen. Das Modell der instrumentellen Rationalität wird in erster Linie auf Argumente angewendet, in denen neben Ueberzeugungen Proeinstellungen als Prämissen und Handlungen (oder Absichtserklärungen) als Konklusionen fungieren. Dies bedeutet nicht, dass es keine Versuche gäbe, die Modelle als jeweils dem anderen übergeordnet vorzustellen. Brandom erwähnt den Versuch (mancher Pragmatiker), logische Rationalität als eine variante instrumenteller Rationalität darzustellen: Es ist nützlich, die Gesetze der Logik zu beachten. Das logisch korrekte Ordnen von Ueberzeugungen macht das Erreichen von Zielen wahrscheinlicher. Doch zumindest lässt sich von einer Kernanwendung der Modelle sprechen, respektiv in den Bereichen des theoretischen und praktischen Schliessens.
Beide Modelle haben Folgendes gemeinsam:
- Der propositionale Gehalt der Aussagen wird als gegeben vorausgesetzt. Rationaliät gilt als Fähigkeit, Beziehungen zwischen Aussagen mit bestimmtem Gehalt und gemäss ihres Gehalts herzustellen oder zu bewerten.
- Damit verbunden: Die Modelle sind rein formal. Was zählt, ist die Struktur der Argumente. Der Gehalt der Aussagen spielt nur so weit eine Rolle, wie er für die Struktur der Argumente wesentlich ist. Wer von p und wenn p so q auf q schliesst, ist logisch rational. Der Gehalt der drei Aussagen spielt nur so weit eine Rolle, wie er bestimmt, dass das Argument der Struktur des modus ponens entspricht. Analoges gilt im Fall praktischen Schliessens und instrumenteller Rationalität.
Anders das Modell der interpretierenden Rationalität. Brandom nennt Davidson als Hauptvertreter. Den Grundgedanken findet man allerdings auch in sehr klarer From in Dennetts "Intentional Systems", Journal of Philosophy 68/4 (1971), 87-116 (Habe ich wahrscheinlich als PDF.). Diesem Modell zufolge wird einem Akteur Rationalität von einem Interpreten zugeschrieben, wenn es diesem Interpreten gelingt, das Verhalten des Akteurs als rational zu deuten, d.h. als analog zu seinem eigenen rationalen Verhalten und seinen eigenen Rationalitätsstandards.
- Das Interpretationsmodell setzt nicht voraus das Gehalte gegeben sind. Es gehört zur Aufgabe des Interpreten, Vermutungen darüber anzustellen, was der Akteur mit seinen Aussagen meint. Dazu muss er wissen, in welchen Beziehungen die Aussagen zu anderen stehen. Die Bedeutung einzelner Aussagen erschliesst sich nur im Kontext anderer Aussagen.
- Das Interpretationsmodell ist nicht rein formal. Eben gerade weil die Gehalte nicht gegeben sind, lässt sich der Gehalt, der für die Struktur wesentlich ist, nicht vom Rest des Gehalts trennen. Jedenfalls nicht am Anfang der Interpretation.
- Das Interpretationsmodell ist den beiden anderen übergeordnet. Logisches und instrumentelles Schliessen gehören zum als rational interpretierten Verhalten eines Akteurs.
Nun kommen wir zum spannenden Teil des Texts, in dem Brandom seine eigenen zwei Modelle der inferentiellen und historischen Rationalität und deren Verhältnis zueinander erläutert. Brandom stellt das Modell der inferentiellen Rationalität als Weiterentwicklung von Davisdons Interpretationsmodell dar.
- Wie im Interpretationsmodell sind im inferentiellen Modell die Gehalte der Aussagen nicht unabhängig von den Beziehungen zwischen Aussagen gegeben. Die Bedeutung der Sätze (und der subsentenzialen Ausdrücke, die in den Sätzen enthalten sind) ist abhängig von den inferentiellen Beziehungen zwischen den Sätzen.
- Der perspektivistische Aspekt des Interpretationsmodells mit seiner Unterscheidung von Akteur und Interpret wird beibehalten und verallgemeinert. Jeder Sprecher führt Buch nicht nur über das inferentielle Netzwerk eigener Festlegungen, sondern auch über das inferentielle Festlegungsnetzwerk von anderen Sprechern. Durch Mischformen wird das Ganze noch komplexer: Ein Sprecher A führt zum Beispiel Buch über die inferentiellen Beziehungen zwischen Festlegungen des Sprechers B, die A nicht unbedingt teilt, und seinen eigenen Festlegungen, die B nicht unbedingt teilt. Mit anderen Worten: Jeder Sprecher führt Buch über eine inferentielles Netzwerk zwischen Aussagen und darüber, wer auf was festgelegt ist.
Zwei Aspekte des inferentialistischen Modells lassen sich unterscheiden: eine inferentielle Semantik und eine normative Pragmatik. Beide sind miteinander verzahnt. Die Einbettung der Semantik in die Pragmatik stellt eine Verbindung her zwischen dem inferentiell gegliederten Netzwerk von Aussagen und den Sprechern. Sprecher sind auf Aussagen festgelegt oder zu Aussagen berechtigt. Festlegungen und Berechtigungen sind zwei Arten deontischer Status.
Drei Arten von Inferenzen lassen sich unterscheiden in Abhängigkeit von den deontischen Status zu den Aussagen, die inferentiell miteinander verbunden sind: festlegungserhaltende (von Festlegung zu Festlegung), berechtigungserhaltende (von Berechtigung zu Berechtigung) und Inkompatibilitätsinferenzen (von Festlegung zu Ablehnung von Berechtigung). Alle drei Arten von Inferenzen sind intra-Person und inter-Gehalt, d.h. bestehen zwsichen Aussagen mit unterschiedlichem Gehalt, zu denen ein und derselbe Sprecher eine bestimmte deontische Haltung einnimmt. Ein Praktik, in der gemäss dieser Inferenzen Buch geführt wird, bezeichnet Brandom als inferentiell gegliedert.
Ein Praktik wird als diskursive bezeichnet, wenn zwei Aspekte hinzukommen. Zum einen eine inter-Person intra-Gehalt Struktur, innerhalb deren ein Sprecher eine Festlegung durch den Verweis darauf, dass ein anderer Sprecher (eine Autorität) auf dieselbe Aussage festgelegt ist, rechtfertigen kann. Zum anderen eine inter-Person Struktur, innerhalb deren ein Sprecher seine Festlegung auf nicht-inferentiell gewonnene Aussagen (Beobachtungssätze) rechtfertigen kann, indem er auf seine Verlässlichkeit verweist.
Das inferentialistische Modell wird um die Dimension der historischen Rationalität ergänzt, als Antwort auf die Frage, wie begriffliche Normen entstehen. Das inferentialistische Modell setzt voraus, dass ein inferentielles Netzwerk besteht, das den verbundenen Sätzen und den in ihnen vorkommenden subsentenzialen Ausdrücken eine bestimmte Bedeutung gibt. Doch wie entsteht dieses Netzwerk?
"The interpretivist pointed out that both the logicist and the instrumentalist about rationality implicitly presuppose that we can make sense of the contentfulness of beliefs and desires in advance of thinking about rational connections among them. The inferentialist pointed out that the interpretivist about rationality does not tell us what it is about the structure of our own
practices - the practical foundation of interpretation, onto which any others must be mappable in order to count as rational or discursive - in virtue of which they deserve to be thought of as
rational or discursive. The historicist about rationality, in turn, points out that the inferentialist takes for granted a set of inferentially articulated norms as an already up-and-running enterprise." (12-3)
Wie Begriffe verwendet werden sollen, kann nur im Licht ihrer bisherigen Verwendung entschieden werden. Als Analogie führt Brandom den Verweis auf Präzedenzfälle in der Rechtssprechung an. Die bisherige Verwendung wird als regelgesteuert gelesen, als gemäss einer Regel, die weiterhin angewendet werden kann. Vergangene Ereignisse werden als weiterführbare Tradition verstanden.
"The rationality of the current decision, its justifiability as a correct application of a concept, is secured by rationally reconstructing the tradition of its applications according to a certain model - by offering a selective, cumulative, expressively progressive genealogy of it." (14)
Brandom zufolge ist eine solche rationale Rekonstruktion einer Tradition eine Form von Reflexion und Selbstbewusstsein. Beide Rationalitätsmodelle lassen sich wie folgt vergleichen:
- Inferentielle Rationalität: Anwendung von Normen, Bewusstsein, Kant.
- Historische Rationalität: Aufstellen von durch Verstehen als Normen, Selbstbewusstsein, Hegel.
Erstere setzt letztere voraus. Beide sind interdependent.
Ein paar Bemerkungen:
Brandom versteht Vokabular (zum Beispiel logisches) als ein Instrumentarium, mit dem Festlegungen, die vor dessen Einführung lediglich implizit waren, explizit gemacht werden können. Zum Beispiel kann die Festlegung auf eine Inferenz erst durch die Einführung der Subjunktion explizit gemacht werden, obwohl Sprecher bereits vorher die Inferenz implizit akzeptieren konnten. Sie konnten von p auf q schliessen, jedoch ohne sich explizit auf wenn p so q festlegen zu können. Durch logisches Vokabular können Festlegungen auf Beziehungen zwischen Aussagen explizit gemacht werden. Brandom bezeichnet Logik als "the organ of semantic self-consciousness" (10).
In Making It Explicit beginnt Brandom mit Festlegungen auf einfache feststellende Behauptungen und zeigt, wie zusätzliches Vokabular (logisches, normatives usw.) progressiv eingeführt und die Ausdrucksfähigkeit der Sprache erhöht werden kann.
Diese Bewegung des progressiven Explizitmachens bringt Brandom nun mit historischer Rationalität in Verbindung. Allerdings stellt er historische Rationalität dar als die Fähigkeit, einen Begriff so zu verwenden, dass seine Verwendung einer Norm entspricht, die in vergangenen Verwendungen bereits implizit war. Brandom spricht nicht darüber, wie radikal neuartiges Vokabular eingeführt wird und welche Rolle Rationalität bei der Einführung neuen expressien Vokabulars spielt. Mit der Ergänzung des inferentialistischen Modells um eine historische Dimension bewegt er sich einen Schritt weg von Kants Verständnis von Rationalität als der Fähigkeit, Regeln zu befolgen, hin zu einem Verständnis, das Rationalität in die Nähe von Kreativität bringt, als Fähigkeit, Anwendungen als regelkonform zu deuten und somit Regeln zu schaffen. Womöglich sollte der kreative Aspekt jedoch stärker betont werden, wenn man die Entwicklung von Sprache als einem rationalen Produkt betrachtet und die Einführung radikal neuartigen Vokabulars, nicht nur die mehr oder weniger stabilen Bedeutungen von bereits angewendeten Begriffen oder die Einführung von Begriffen, sie zu bereits bestehenden Begriffen in nicht radikal neuartigen Verbindungen stehen. Wie auch immer, das Verhältnis zwischen Rationalität und Kreativität ist ein paar Gedanken wert. Beide Begriffe scheinen eng verwandt, da beide positive kognitive Fähigkeiten bezeichenen, aber andererseits entgegengesetzt, als Fähigkeit, Regeln anzuwenden bzw. über die Anwendung von Regeln hinauszugehen.
8 Kommentare:
Also ich fange mal mit ein paar Bemerkungen zu deinem Post an.
Erstens ist mir glaube ich der Unterschied zwischen dem interpretativen und dem inferentiellen Modell nicht ganz klar, bzw. unklar, was da noch dazu kommen soll im inferentiellen Modell, aber vieleicht soll es auch nur eine Art Präzisierung sein.
Zweitens scheint es mir so zu sein, dass hier mit dem interpretativen Modell (und den weiteren Modellen) kein wirklich neuer Begriff von Rationalität im Spiel ist.
Vielmehr scheint hier der Erkenntnis Rechnung getragen zu werden, dass Menschen, wenn sie sprechen, zumindest nicht immer in Schlussformen reden und nicht immer alle Prämissen expliziert werden und manchmal der Inhalt von bestimmten Aussagen vom vorausgesetzten Vorverständnis oder (historischen) Kontext abhängt.
Das heißt, der Maßstab der Rationalität von Aussagen bleibt nach wie vor das logische, bzw. bei normativen oder praktischen Fragen, das sogennante instrumentelle (auch zweckrational genannte) Modell der Rationalität. Es geht nur darum, dass Aussagen oft erst interpretiert und also verstanden werden müssen, bevor sie auf ihre Rationalität geprüft werden können. Und bei dieser Interpretation wird als Maßstab ein Rationalitätsbegriff angewandt, und zwar eben der logische oder instrumentelle. Und zwar so, dass dabei unterstellt wird, die Aussage des Gegenübers sei nach diesem Maßstab so rational wie möglich. Das ist Davidsons "principle of charity".
Verstehen und Rationalitätsprüfung hängen also ein Stück weit zusammen, werden im selben Schritt vollzogen.
Vielleicht kommt bei Brandom noch irgendwas dazu, aber das ist mir nicht klar geworden, inwiefern das den Rationalitätsbegriff selbst betrifft.
Gut, außerdem geht es noch darum, wie die Rationalität oder Gerechtfertigtheit von (letzten) Prämissen beurteilt werden kann. Und das ist vor allem in Bezug auf die praktische Vernunft interessant, weil hier die Prämissen eben nicht intersubjektiv überprüfbare Wahrnehmungssätze sind wie bei deskriptiven Argumenten (mal vom naiven Verständnis ausgehend, in Wirklichkeit ist das auch hier vielleicht komplizierter), sondern Werte, Normen, Zwecke.
Erst diese Frage nach der Einstufung der Rationalität der (letzten) Prämissen geht über den Max Weberschen Begriff der Zweckrationalität hinaus. - Und das ist ja beispielsweise das, was die Kritische Theorie umtreibt. (Und dazu gibt es auch einen ganz interessanten Text von Charles Taylor, den ich neulich gelesen habe: Explanation and practical reasoning)
Aber vielleicht habe ich jetzt auch die entscheidende Pointe bei Brandom übersehen oder nicht verstanden. Das, was du wiedergibst, scheint ja auch ungefähr das zu sein, was er in Making it Explicit macht.
Aber irgendwie, nimm's mir nicht übel, kann ich mir nicht helfen: Ich finde das ganze einfach ziemlich langweilig - so wie es da aufbereitet und behandelt wird. Man hat nicht wirklich das Gefühl hier irgendetwas Neues zu lernen oder interessante Fragen und Probleme aufgeworfen zu bekommen.
Vielleicht ist das auch ein bisschen eine stilistische Frage, oder eine Frage der Aufbereitung, aber mindestens zum Teil auch eine des Inhalts und der Methode.
1.
Der Hauptunterschied zwischen dem interpretativen und dem inferentiellen Modell, der Brandom dazu veranlasst, letzteres als eine Weiterentwicklung von ersterem vorzustellen, wird in einer der Textpassagen erwähnt, die ich zitiert habe. Hier nochmal:
"The inferentialist pointed out that the interpretivist about rationality does not tell us what it is about the structure of our own practices [...] in virtue of which THEY deserve to be thought of as rational or discursive."
Was beide Modelle teilen, ist ein Bedeutungsholismus. Welche Inferenzen gültig sind, bestimmt, welchen Gehalt den verbundenen Propositionen zukommt. Die umgekehrte Abhängigkeitsbeziehung gilt besteht ebenfalls, entspricht aber nicht der explanativen Reihenfolgen.
Was in Davidsons Modell nicht vorkommt, ist eine Darstellung der normativen Pragmatik.
2.
Der Unterschied zwischen den beiden ersten Modellen und den weiteren besteht darin, dass die beiden ersten den Anwendungsbereich von Rationalität auf das Schliessen von Aussagen auf andere Aussagen beschränken, während die anderen Rationaliät weiter fassen, nämlich als die Fähigkeit, Begriffe zu benutzen.
3.
Was praktisches Schliessen angeht. Brandom behandelt nicht die Gerechtfertigheit von letzten Prämissen, sondern präsentiert eine "default and challenge" Struktur, die diese Frage als weniger dringlich erscheinen lässt. Wenn die Berechtigung eines Sprechers zu einer Festlegung angegriffen wird, muss der Kritiker Gründe für seine Zweifel an der Berechtigung angegeben. Er muss zeigen, dass seine Kritik berechtigt ist. Dass eine solche Struktur besteht, erklärt, wieso wie miteinander kommunizieren können, ohne all unsere Prämissen letztzubegründen. Natürlich bleibt als Problem bestehen, wie weit sich manche Prämissen begründen lassen. Aber Brandom scheint dieses Problem ausgliedern zu wollen. Ob dies ein richtiger Schritt ist, ist ja womöglich eine nicht ganz so langweilige Frage.
4.
Brandom zufolge verhält sich das inferentielle Modell ebenfalls neutral gegenüber der Frage, ob man sich beim praktischen Schliessen instrumentelle oder andere Kriterien anwenden soll. Genauer gesagt, beschränkt er sich darauf, praktisches Schliessen zu beschreiben und unterscheidet dabei drei Arten von "ought": ein instrumentelles (drückt Präferenzen aus), ein institutionelles (Gebote, die für ein bestimmte Menge von Personen gelten) und ein unbedingten (Gebote, die für alle gelten). Die Unterschiede zwischen den drei oughts lassen sich innerhalb Brandoms Pragmatik ausdrücken: Wer sich auf ein unbedingtes ought festlegt, betrachtet auch alle anderen als darauf festgelegt (auch wenn andere sich weigern, sich darauf festzulegen). Brandom macht lediglich den Unterschied zwischen den oughts klar, sagt aber nicht, welches ought grundlegender ist und welche Art von Aussagen (Wünsche oder Gebote ausdrückend) als Fundament einer ethischer Theorie taugen.
5.
Welche Fragen scheinen denn dir wichtig und spannend? Gibt es da welche?
Antwort folgt... wahrscheinlich morgen...
Hier kommt sie:
ad 1.
Also den Unterschied verstehe ich jetzt so - und das entspricht ungefähr dem, was ich im ersten Kommentar gemeint habe, nämlich dass es sich nicht um wirklich verschiedene Begriffe von Rationalität handelt -, dass zwar beide Modelle dieselbe Grundstruktur haben, oder dieselbe Intention, nur dass Brandoms Inferentialismus die dafür notwendigen Teile expliziert und ausbuchstabiert, während das in Davidsons Modell fehlt. Brandoms Modell erklärt also, warum und wie genau Davidsons (und sein eigenes) Modell funktioniert.
ad 2.
Ok. Aber geht es bei Rationalität nicht darum, Begriffe RICHTIG zu verwenden, oder neutraler ausgedrückt, sie auf eine bestimmte Weise zu verwenden? D.h. es gibt auch eine Verwendung von Begriffen, die nicht rational ist?
Das ist doch das, was in der normativen Pragmatik drinsteckt, dass es bestimmte Praxen gibt, die als rational gelten und andere nicht. Und das, worauf dann verwiesen wird als Rationalitätskriterium, also Festlegungen und Berechtigungen und deren Übertragung, der Verweis auf Autorität und Beobachtung, scheint mir nicht wirklich über das logische Modell hinauszugehen. Ok, es gibt noch materiale Schlüsse und eben die "Enden" in der Beobachtung/ Autorität, aber das ist ja alles irgendwie überhaupt nichts neues... oder?
ad 3.
Mir geht es nicht um Letztbegründung, bzw. ich glaube nicht, dass es sowas geben kann.
Und diese "default and challenge"-Struktur ist natürlich ein sinnvolles Konzept (aber auch nichts neues (aber will es vielleicht auch nicht sein)).
Dennoch bleibt das Begründungsproblem ja bestehen, wie du auch schreibst. Und ich finde es interessanter, sich zu fragen wie das funktionieren kann und welche Denkfiguren man dafür braucht, v.a. in Bezug auf prakt. Rat. - und da halte ich im weiteren Sinne marxistische, oder besser: dialektische Ansätze für vielversprechender als die analytische Philosophie - soweit ich das bisher sagen kann.
ad 4.
Dazu kann ich jetzt so nicht viel sagen. Aber ich tendiere zu moralphilosophischen Ansätzen, in denen keines dieser "oughts" vorkommt. (glaube ich)
ad 5.
Da hast du den heiklen Punkt getroffen. Das ahnst du, wie ich deiner Formulierung "Gibt es da welche?" entnehme...
Aber wenn ich mich bemühe, dann fallen mir schon ein paar Sachen ein, die ich interessant finde.
Zum Beispiel alles, was mit einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu tun hat.
Mich interessiert das an der Philosophie, was praktische Relevanz hat:
Nach welchem Maßstab man sein eigenes Handeln ausrichten soll, welche Ziele anstreben, welche Haltung zur Gesellschaft einnehmen, wie man Ideologie durchschauen und kritisieren kann, wie man zur Politik stehen soll, wie man selbstbestimmt leben kann, wieviel Selbstreflexion es dafür braucht und mit welchen Methoden man sie vorantreiben kann, usw... (das "soll" in diesen Fragen bezieht sich auf den eigenen Anspruch, auf die Instanz der eigenen Autonomie, nicht auf eine äußere Instanz, ist klar...) Also alles, was damit zu tun hat, wie ich mich selbst und mein Leben auf die Reihe kriege und was ich dafür verstehen muss... Außerdem interessiert mich auch Kunsttheorie, im Prinzip...
Wahrscheinlich habe ich auch noch was vergessen.
Natürlich spielt bei diesen Fragen auch Rationalität eine Rolle, was das ist und wie es funktioniert. Aber ich denke, man braucht ein konkretes Problem um sich der Frage nach Rationalität sinnvoll zu nähern.
Puh. Ich hoffe, ich schreibe nicht zu großen Blödsinn...
ad ad 1.
Natürlich sind beide Modelle und beide Begriffe von Rationalität nicht inkompatibel. Brandom behauptet nicht, dass Davidsons Modell falsch ist, nur dass es ungenügend ist, dass es nicht genug erklärt. Natürlich kann man sagen, dass Brandom nur Lücken füllt. Aber was heisst hier "nur"?
ad ad 2.
Wenn wir die Spiel-Metapher benutzen, um über rationale Praktiken - the game of giving and asking for reasons - nachzudenken, dann ist klar, dass man mehr oder weniger rational mit Begriffen umgehen kann, so wie man ein Spiel mehr oder weniger gut spielen kann. Könnte doch als Frage interessant sein: Inwiefern ist Rationalität graduell? Auch im Hinblick auf die Frage, inwiefern Tieren Rationalität zugesprochen werden kann. Oder auch wenn man über Fälle nachdenkt, in denen kein optimal rationales Verhalten möglich ist. Wie rational kann man überhaupt sein? Gibt es Spannungen, die in unseren Praktiken selbst angelegt sind, so dass optimale Rationalität gar nicht möglich ist?
Was das Verhältnis zum logischen Modell angeht. Im logischen Modell ist gar kein Platz für eine Pragmatik vorgesehen. Die Spielregeln, die in der Pragmatik explizit dargestellt werden und deren Beherrschung unabdingbar für rationales Verhalten ist, sind nicht Teil des Modells. Natürlich gehört zur Rationalität die Fähigkeit, Schlüsse in richtige und falsche einzuteilen. Aber es gehören noch ganz andere rationale Fähigkeiten hinzu - zum Beispiel die Fähigkeit, sich berechtigt zu sehen, sich auf eine Aussage festzulegen, wenn jemand anderes dazu berechtigt ist.
Natürlich ist das irgendwie überhaupt nichts Neues. In den Tales of the Mighty Dead geht es Brandom gerade darum zu zeigen, dass die verschiedenen Aspekte seines Modells in den Theorien von Philosophen von Spinoza zu Heidegger und Hegel bereits präsent sind. (So wie Aristoteles in der Metaphysik zeigt, wie die Theorien der Vorsokratiker geradewegs zu seiner Ursachenlehre führen.) Aber andererseits ist die Art und Weise, wie die verschiedenen Aspekte zu einem Ganzen zusammengefügt werden abolut originell.
ad ad 3.
Vielleicht kannst du ja dazu etwas Genaueres sagen. Brandom lässt sich nur bedingt zur analytischen Strömung zählen und spricht recht viel von Hegel und Dialektik. Aber diese Einteilungen sind ja eh nicht sehr hilfreich und was ich an Brandom schätze, ist gerade, dass er dazu beitragt, diese Schranken abzubauen.
ad ad 4.
Glaube ich dir nicht :).
ad ad 5.
Wo kommen denn die Antworten auf diese Fragen her?
Auf ein Neues!
adadad 2.
Vielleicht sollte ich das Buch mal lesen...
Ich lese übrigens gerade einen Aufsatz von Richard Rorty (für meine Hausarbeit), in dem es auch um verschiedene Rationalitätsbegriffe geht (Rationality and Cultural Difference). Wenn ich fertig bin und ihn aufschlussreich finde, schreibe ich dazu vielleicht auch einen tollen Eintrag...
adadad 3.
Tja, das ist natürlich jetzt kompliziert. Inwieweit Brandom zur analytischen Strömung zu zählen ist, kann ich nicht gut beurteilen, weil ich nur Teile aus dem 2. und 3. Kapitel von making it explicit kenne.
Und sicher, es geht mir auch nicht darum, hier irgendwelche Einteilungen festzuschreiben. Ich wollte nur einen groben Hinweis geben, in welcher Richtung nach Antworten zu suchen ist.
Ich denke, dass man beim Nachdenken über Moral an Marx nicht vorbeikommt, und der Einsicht in die Verwurzelung von Moral in den materiellen Bedingungen. Und zunächst mal landet man dann bei einer (Ideologie-)Kritik der Moral. Und was man dann versuchen kann, ist eine Konstruktion, die eben keine "reine Moraltheorie" mehr ist, sondern eine umfassende dialektische Theorie, wo gesellschaftliche Bedingungen und historischer Kontext mitgedacht werden. Also eine historisch gebundene normative Theorie. Oder so ähnlich...
Meine (wahrscheinlich nicht) tolle Hausarbeit wird auch ein wenig davon handeln, wenn ich dem sich jetzt vage abzeichnenden Plan folge... Thema wäre demnach, ob für eine Kritik oder einen Vergleich normativer Standpunkte anthropologische Annahmen nötig sind. Und dann würde es um die Positionen Horkheimers, Charles Taylors und Rortys gehen, die sich grob für mich so herauskristallisiert haben: Rorty sagt, ein solcher Vergleich ist nicht möglich, weil wir immer standortgebunden sind, Taylor sagt, das geht trotz der Gebundenheit und man braucht dafür bestimmte anthropologische Grundannahmen und Horkheimer sagt, ja das geht, trotz der Standortgebundenheit und zwar ohne irgendwelche Anthropologie. Tja, und das finde ich spannend und werde mal sehen, ob es mir gelingt nachzuzeichnen, wie das bei Horkheimer funktionieren kann, und ob es funktioniert, was ich aber glaube.
adadad 4.
Solltest du aber! Ich meinte damit irgendwie sowas, dass sich diese drei verschiedenen oughts letztlich auf ein einziges zurückführen lassen und das müsste im Individuum selbst verankert sein und seiner Selbstbestimmung. Anders lässt sich Moral nicht begründen - d.h. aber, Moral lässt sich nicht als universelles Sollen formulieren / begründen.
adadad 5.
Aus meinem Kopf und den tollen Büchern, die ich lese... ;) (ich glaube fast, du wolltest auf was anderes raus...)
Zu den oughts: Das heisst ja nicht, das Moral gar nichts mit Sollen zu tun hat.
Wir könnten, um nicht aneinander vorbeizureden, Texte von Rorty lesen. Da er den Neopragmatikern nahe steht, beziehungsweise sich zu ihnen rechnen lässt, sind seine Text sehr relevant für meine Arbeit - und wie's scheint ja auch für deine.
Uebrigens: Hast du dich schon um eine internationale Studentenkarte bemüht?
Ich sagte ja auch nicht "keine oughts", sondern "keins von DIESEN oughts". Aber wie auch immer, wahrscheinlich reden wir wirklich ein wenig aneinander vorbei.
Tschub, int. Studentenausweis hab ich!
Und: ja, lass uns doch was von Rorty lesen.
Ich hab bis jetzt (wie du schon weißt) die zwei Aufsätze "Rationality and Cultural Difference" und "Human Rights, Rationality, and Sentimentality" gelesen. Und ich hab grad noch zwei Interviews aus dem Band "Take care of Freedom and Truth will take care of itself" da: Das 7. und 8. Interview.
Und dann hab ich noch "Essays on Heidegger and others. Philosophical Papers 2", "Philosophy and the Mirror of Nature", sowie zwei nur für die deutschen Ausgaben zusammengestellten Aufsatzbände daheim, in die ich aber alle noch nicht reingeschaut habe.
- Wenn du noch was empfehlen kannst, dann tu das.
Ich weiß noch nicht so ganz, was ich davon halte, aber uninteressant ist das jedenfalls nicht.
Und wieso denn NEOpragmatisten? Er selbst nennt sich glaube ich einfach Pragmatist - und bezieht sich auf Dewey.
Aber vielleicht muss man einfach nach einem bestimmten Zeitraum, den etwas andauert, ein neo- oder post- oder so davorsetzen, damit es nicht langweilig wird...
Na denn...
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