Mittwoch, 28. März 2007

Bad Writing Contest

Dies ist ein Abschiedspost, denn ich begebe mich auf Reisen und werde vielleicht nicht lebend zurückkehren. Wir sind halt ein abenteuerlustiges Globetrotter-blog. ich persönlich verreise in eine Stadt, die in der Geschichte mehrfach negativ aufgefallen ist. Nicht nur war sie vor dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiges intellektuelles Zentrum des europäischen Antisemitismus, sie ist auch, was weniger bekannt ist, daran schuld, dass wir noch nicht im Kommunismus leben. Und das geht so: Als die Türken 1453 Konstantinopel, eine Stadt, die zu gründen an sich schon eine der schlechtesten Ideen in der Geschichte des Römischen Imperiums darstellte, endlich eroberten, lösten sie dadurch im Abendland den Anbruch der Neuzeit aus. Und nun stelle man sich vor, was erst passiert wäre, wenn die von mir bald bereiste Stadt wenigstens ihre zweite Chance genutzt hätte und 1683 unter osmanische Herrschaft sich begeben hätte! Eben, wir würden Weltfrieden und universellem Wohlstand genießen und uns den ganzen Tag nur dem hehren Kunstgenuss und der freien Liebe hingeben. Nämlich.

Hier noch ein Zitat der Woche. Jene Freundin, die ich alsbald besuchen werde, war so liebenswert, mich auf den Bad Writing Contest des Department of Philosophy der University of Miami aufmerksam zu machen, dessen winner hier mit seinem prämierten Satz zitiert werden soll:

"Indeed dialectical critical realism may be seen under the aspect of Foucauldian strategic reversal--of the unholy trinity of Parmenidean/Platonic/Aristotelean provenance; of the Cartesian-Lockean-Humean-Kantian paradigm, of foundationalisms (in practice, fideistic foundationalisms) and irrationalisms (in practice, capricious exercises of the will-to-power or some other ideologically and/or psycho-somatically buried source) new and old alike; of the primordial failing of western philosophy, ontological monovalence, and its close ally, the epistemic fallacy with its ontic dual; of the analytic problematic laid down by Plato, which Hegel served only to replicate in his actualist monovalent analytic reinstatement in transfigurative reconciling dialectical connection, while in his hubristic claims for absolute idealism he inaugurated the Comtean, Kierkegaardian and Nietzschean eclipses of reason, replicating the fundaments of positivism through its transmutation route to the superidealism of a Baudrillard."
aus: Roy Bhaskar: Plato etc: The Problems of Philosophy and Their Resolution (Verso, 1994)

Sonntag, 25. März 2007

Blümelein und Sonnenschein

Frühling! Frühling! Es wird unverkennbar Frühling in Berlin!
Jaja, für den hiesigen Stadtbewohner reichen schon lächerliche 16°C aus, um hormonbedingte Euphoriezustände auszulösen.
Deshalb aus gegebenem Anlass ein paar BUNTE Obstaufkleber!

Samstag, 24. März 2007

Koteletten. Betrachtungen über eine Form der Selbsterniedrigung der menschlichen Spezies (bzw. ihres männlichen Teils)

Koteletten - hässlicher Auswuchs eines reaktionären Männlichkeitswahns oder abstoßendes Teufelswerk, das mit gesetzlichen Maßnahmen unterdrückt werden muss? Es ist schwierig, in dieser Frage eindeutig Stellung zu beziehen. Fest steht, dass Koteletten wesentlich dazu dienen, die Öffentlichkeit noch ekliger aussehen zu lassen als ohnehin schon. Der einzige legitime Grund, mit einem Kotelettenträger Sex zu haben, besteht darin, ihm heimlich im Schlaf seine scheiß Koteletten abzurasieren. Alles andere wäre zutiefst unmoralisch und gender-politisch fatal. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Meinung, und eine objektive Tatsache. Wer es trotzdem anders sehen will, kann gerne Unrecht haben. Ganz bewusst verzichte ich auf eine Abbildung von Koteletten, denn dies ist ein seriöser blog, der nicht bloß über Missstände berichtet, damit die Leute sich an widerlichen Bildern von explodierende Passanten, geköpften Geißeln, Promis ohne Unterhosen oder eben Koteletten aufgeilen können.

Freilich gibt es Schlimmeres als Koteletten, etwa Backenbärte. Oder auch Schnauzbärte. Oder überhaupt Günter Grass, dessen Schnauzbärtigkeit ein tief verankerter CHARAKTERZUG ist, den keine Rasur der Welt beseitigen könnte. Abgesehen von der sogenannten Kopf-ab-Rasur, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Rätselhaft bleibt, warum nicht einfach alle Leute T-Shirts tragen, auf denen steht: "Ich bin ein doofer Arsch und will auch so aussehen" - dann wäre das ein für allemal geritzt, man könnte sich dran gewöhnen und müsste nicht jede Saison an neuem Unfug verzweifeln.

Bonuszitat

"Just because you're German doesn't make you a Nazi."

Tobey Maguire (aka Tully in The Good German)

Freitag, 23. März 2007

Zitat der vergangenen Woche

Es ist zwar niemandem aufgefallen, aber da hat doch tatsächlich letzte Woche das Zitat der Woche gefehlt. So ein Sauhaufen hier! Eine Unordnung!
Ich werde das jetzt hiermit nachholen:
Mit einem wunderschönen, zugleich humorvollen und selbstironischen Liebesgedicht. Das geht so:

"Roses are red
Violets are blue
oh my, lump in the bed, how I've missed you.

Roses are redder
Bluer am I
Seeing you kissed by that charming French guy.

The dogs and the cat,
They missed you, too
Barney's still mad you dropped him - he ate your shoe.

The distance, my dear,
has been such a barrier.
Next time you want an adventure, just land on a carrier."

Da ich befürchte, dass dieses wundervolle Gedicht weit weniger geschätzt wird, sobald der Autor bekannt ist (böse Vorurteile!), und ich dem Leser auf keinen Fall den Genuss verderben will, werde ich den Autor bis auf weiteres verschweigen und lediglich den Leser auffordern, selbst zu raten (Ja, es macht mir Spaß, die ganze Zeit Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort bekomme!).

Namen sind Schall und Rauch, aber Rauchen ist hier verboten (bald).

Mit diesem Post möchte ich auf Gegenstände aufmerksam machen, die beinahe unbemerkt in unserem alltäglichen Leben auftauchen. Dinge, die äußerst wichtige Funktionen erfüllen, unsere Welt zusammenhalten, Verbindungsstücke, ohne die alles buchstäblich aus den Fugen geraten würde. Dinge, die aber dennoch keinen Namen haben, kein Wort, das sie bezeichnete. Über die deshalb niemals gesprochen wird, die nicht beachtet werden (über die es allerdings auch nicht nötig ist, zu sprechen).
(Aber vielleicht sind die Dinge ja depressiv deswegen. - Eine mögliche Erklärung für die Melancholie der Moderne: es gibt zu viele Gegenstände, die namenlos dahinvegetieren, die Welt ist zu voll um jeden / jedes noch persönlich anzusprechen - Anonymität, Identitätsverlust, Ichvergessenheit, Sprachlosigkeit.)

Ich möchte deshalb hiermit auf diese vernachlässigten Gegenstände aufmerksam machen und den geneigten Leser oder die aufrechte Leserin dazu auffordern, sich Namen für diese Dinge einfallen zu lassen (aber gute Namen, bitte!). Die Leserin oder der Leser sei ebenfalls aufgefordert, weitere Dinge vorzuschlagen, für die es ebenfalls keine Bezeichnung gibt, sofern ihr oder ihm welche einfallen. Es soll dabei nicht ausschließlich um materielle Gegenstände gehen, auch namenlose Zustände, Prozesse, Abstrakta, Gefühle, Stimmungen sind unbedingt der Würdigung würdig!

Als ersten Gegenstand in dieser Rubrik möchte ich heute folgendes vorschlagen:





Genau. Nämlich diese kleinen, meistens transparenten, Plastikverbindungsstäbchen, mit denen die Preis- und Markenschilder an neuen Kleidungsstücken befestigt sind. Was wäre die Welt ohne diese Dinger! Kein Preis würde am Kleidungsstück halten, man wüsste nicht mehr, was wieviel kostet - der Kapitalismus würde zusammenbrechen!
Die Welt würde nicht funktionieren ohne sie, und dennoch haben diese essentiellen Plastikteile keinen Namen! Unglaublich!
(Oder irre ich mich da? Falls ein Leser oder eine Leserin einen Namen dafür kennt, sei es in einer anderen Sprache, so sei er oder sie "more than welcome" diesen mitzuteilen!)

Donnerstag, 22. März 2007

Heute ist ein ganz verrückter Tag. Man bietet mir einen für meine Verhältnisse hervorragend bezahlten Job an (der Typ besteht darauf, mir mehr Geld zu geben, als ich verlangt habe), ich bekomme eine Nachricht, dass ich bald noch einen besseren Job haben werde, eine Exfreundin, die ich lange nicht gesehen habe, und ein Freund, von dem ich noch viel länger nichts gehört haben, melden sich auf einmal, ich fülle meinen Messenger mit den Emailadressen von Leuten, die ich völlig aus den Augen verloren habe, es ist mitten in der Nacht, noch immer 30 Grad, ich liege halbnackt und mit Zigarre auf der Couch vor meiner Wohnung und frage mich, was ich machen muss, um je wieder runterzukommen von dieser Wolke.

Mittwoch, 21. März 2007

Statt eines Nachrufs

Deborah Solomon: Bei uns meinen manche, dass die Geisteswissenschaften an den amerikanischen Universitäten durch den Einfluss von Dekonstruktion und anderer französischer Theorien Schaden genommen haben.

Jean Baudrillard: Das war das Geschenk der Franzosen. Sie haben den Amerikanern eine Sprache gegeben, die diese nicht brauchen. Das ist wie mit der Freiheitsstatue. Kein Mensch braucht französische Theorien.

(SZ vom 24. November 2005. Deutsch von Christopher Schmidt.)

Freitag, 16. März 2007

Home, not very sweet home

Ja, es ist schrecklich, aber wahr, ich bin wieder in Berlin, zu Hause sozusagen.
Ich weiß, mein wieder-da-Blogeintrag kommt etwas spät, aber ankommen dauert eben manchmal ein wenig.

Und es ist schon seltsam, wieder in Deutschland zu sein - dem Land, das mich als erstes mit Zigarettenqualm, Bratwurstgeruch und Easy Listening-Klassik empfängt (verflucht sei der Hamburger Hauptbahnhof!), wo sich deutsche Urlauber über das tolle Preis-Leistung-Verhältnis und den freundlichen Service in Bankok unterhalten, und wo leider immer noch Winter ist.














Ja, Deutschland: Im Verkaufsfernsehen wird für Produkte geworben, die Bindegewebe "umverteilen" dank "Kompressionsstrickzonen", in den Nachrichten ist die Rede von "Kamingesprächen und Strandspaziergängen" und der Swingerclub um die Ecke wirbt mit "Dauertiefstpreisen".

Ach ja, seufz, - es ist so wunderschön, die deutsche Sprache zu hören!

Sonntag, 11. März 2007

We hate love, we love hate

Tja, schon spät, was, und noch gar kein Zitat der Woche! Auch sonst gar nichts, diese Woche! All das hat natürlich einen tieferen Sinn. Zum Beispiel, nicht durch hohe Produktivität zum Wirtschaftsaufschwung beizutragen, den wir nämlich ablehnen. Stattdessen betätigen wir uns als "Wühlmäuse an den Wurzeln unserer Demokratie" und sabotieren jede "geistig-moralische Wende" (beide Zitate: Helmut Kohl, Seriensieger im Kanzlercasting), die nicht bei drei auf den Bäumen ist. Als lieblos hingerotzes Dienst-nach-Vorschrift-Wochenzitat biete ich daher heute, um die Sektenbeauftragten zu ärgern, einen dummen Satz eines noch dümmeren zwielichtigen Gurus, der einst eine militante Weltuntergangssekte gründete und damit der Menschheit einen Bärendienst sondergleichen erwies - richtig, es geht um Jesus. Der Menschensohn informiert das geneigte Publikum über die Aufnahmebedingungen in seinen Club der Erlösten folgendermaßen:

"Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und die Mutter und die Frau und die Kinder und die Brüder und die Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein." (Lukas 14, 26)

Ich persönlich bin ja eher für den Satanismus, die Religion der Liebe. Da muss man niemanden hassen, kann sich den rituellen Kannibalismus sparen und darf sogar ficken.

Sonntag, 4. März 2007

Die Erleuchtung des Ernst Torben Saalreiter

"Ich erkannte, dass mein bisheriges Leben ein Irrtum gewesen war. Das völlige Scheitern meines Lebens war die Gnade, die mir zuteil wurde, damit daraus die völlige Bekehrung entsprieße. Ich verlor alles, um alles zu erhalten. Meine Armut war meine Reinheit, meine Reinheit war mein Reichtum. Ich hatte nichts mehr außer mir selbst, und es gab für mich keine Zukunft. So gab ich mich auf. So warf ich mich weg. So saß ich im Wald und aß nicht und trank nicht. So saß ich drei Tage lang, und ich war nackt. Dann stand ich auf und ging Tag und Nacht gen Sonnenuntergang. Jeder Schritt brachte mich 3 Zentimeter voran, dauerte drei Minuten und gebar 3 Erleuchtungen. So schritt ich drei weitere Tage und Nächte und mir wurden viele Erleuchtungen zuteil, nämlich 4320. Es waren aber 240 Erleuchtungen, denn jede Erleuchtung kam mir drei mal an jedem Tag, und in jeder Nacht wiederholten sich alle Erleuchtungen des Tages. Doch die größte Erleuchtung kam mir nach dem letzten Schritt, und ich hielt inne. Denn vor mir war ein großer Misthaufen mit vielen Fliegen, und ich erkannte in jeder Fliege eine Erleuchtung. Und wie die Fliegen um jenen Misthaufen kreisten, kreiste jede Erleuchtung um die Große Weisheit. So legte ich mich in den Misthaufen, auf dass mir die Große Weisheit zuteil werde. Und dort lag ich weitere drei Tage, in den Nächten aber stand ich auf und verfolgte die Fliegen. Denn die Fliegen erschienen am Tag, aber sie verschwanden in der Nacht. So auch erscheint uns die Weisheit des Tags, doch entschlüpft sie uns in der Nacht. In der ersten Nacht aber traf ich einen Maulwurf, und ich sah, er war blind. Für ihn gab es weder Tag noch Nacht, und so versteht er nicht, warum die Fliegen entschwinden, denn er weiß nichts von der Tageszeit. In der zweiten Nacht aber traf ich eine Eule, und für sie war der Tag die Nacht und die Nacht der Tag, und weiß war für sie schwarz. Denn wie für uns die Nacht zu dunkel ist zum Sehen, so ist für sie der Tag zu hell. Am dritten Tag aber war Neumond, und ich lief gegen einen Baum, denn es war so dunkel, ich konnte ihn nicht sehen. Und ich blieb liegen bis zum Morgen, und ich erkannte, für den Baum ist jeder Tag ein einatmen und jede Nacht ein ausatmen. Und ich kehrte am dritten Morgen zurück zu dem Misthaufen, und ich sah den Weg zur Großen Weisheit. Ich legte mich in den Misthaufen wie jeden Tag, aber diesmal sank ich ein ins Innere des Misthaufens, und der Mist umschloss mich und machte dunkel den Tag wie die Nacht. Und ich hörte auf zu atmen. Und im Misthaufen waren Tag und Nacht eins, und ich erkannte, dass der Misthaufen die Fliegen gebar wie die Große Weisheit die Erleuchtungen. Doch wie die Fliegen nur am lichten Tag aus dem Misthaufen entspringen können, so werden die Menschen erleuchtet am Tag, aber in der Nacht verlieren sie die Gnade. Und ich nahm den Misthaufen in mich auf, und er durchdrang mich. Und ebenso nahm ich die Weisheit in mich auf, und sie durchdrang mich. Und die Weisheit ergoss sich in mich. Und als ich wieder aufstand, war die Sonne versunken, doch die Nacht war hell wie der Tag, denn ich trug den Samen der Großen Weisheit in mir, und er gebar Erleuchtungen noch und noch. Und ich sage euch: Das war der Bodhi-Misthaufen."

Donnerstag, 1. März 2007

Zum Thema "Elfenbeinturm"

"Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe."
Karl Marx und Friedrich Engels: "Die deutsche Ideologie", in: MEW 3, S. 218.