Donnerstag, 18. Januar 2007

Die Rechnung des eiskalten Tigers

Gestern habe ich eine Beobachtung gemacht, die mich mal wieder bestätigt hat (worin, werdet ihr gleich sehen).
Ich sah mir nämlich "Le Samourai" (zu deutsch: Der eiskalte Engel) von Jean-Pierre Melville an und konnte dank dem Zweikanalton meines alten Videorekorders die Originalfassung und die deutsche Synchronisation vergleichen. Und was musste ich feststellen? Das ist ja alles ganz anders!

Besonders beim Schluss haben die deutschen Synchronisatoren sich voll ins Zeug gelegt.
Und zwar so:
(Ich gehe mal davon aus, dass der Film eh bekannt ist, aber wer nicht mag, soll das halt jetzt nicht lesen.)

Jeff Costello, der Samourai, hat einen letzten Mordauftrag zu erfüllen. Er ist in einem Nachtclub, er geht zu der Pianistin, wechselt mit ihr ein paar Worte, zieht seine Waffe und zielt auf sie.


Der Dialog im französischen Original:

Sie: "Pourquoi, Jeff?"
Er: "On m'a payé pour ca."

Da dachten sich die deutschen Synchronisatoren: Nein, das ist zu herzlos, wie kann er das so sagen? Da kriegt der Zuschauer ja einen Schock. Also fügten sie noch einen beruhigenden Nachsatz hinzu, damit der Zuschauer sich keine Sorgen macht.

Sie: "Wozu das, Jeff?"
Er: "Ich wurde dafür bezahlt. Keine Angst, es geschieht ihnen nichts."

Das ist doch schon gleich viel schöner. Der Samourai wirkt viel menschlicher und die Frau fühlt sich bestimmt auch wohler und der Zuschauer muss keine Angst mehr haben. Alles ist gut.

Aber es wird noch besser.

Einen Moment später hört man Schüsse und Jeff Costello geht zu Boden, erschossen von mehreren Polizeibeamten. Zwei der Polizisten gehen zu der Frau und sprechen mit ihr:

"Vouz l'avez échappé belle."
"Sans nous, c'était vous qui seriez morte."
Da tritt der Polizeichef hinzu mit der Waffe des Samourai und sagt: "Non." Dabei zeigt er die Waffe. Sie ist nicht geladen.
Die Kamera fährt zurück, Musik setzt ein, Film aus.

Aber sowas kann man dem deutschen Publikum ja nicht zumuten. Da sagt der einfach "Nein", und man sieht die leere Trommel, aber was heißt denn das jetzt? Wer ist dieser Jeff Costello? Warum hat er sich von der Polizei erwischen lassen, oder war er etwa unachtsam? Wieso hat der Polizeichef denn keine Erklärung für alles? Und was ist jetzt die Moral?

Solche Fragen stellt sich das deutsche Publikum, und man will ihm nicht zumuten, womöglich selbst eine Antwort zu finden, oder gar mit einem offenen Ende zu leben, das die Figur des Jeff Costello - Gott bewahre! - ambivalent und mysteriös zurücklässt. Der deutsche Zuschauer will sich doch einen Reim auf alles machen können! Er will das Wie und Warum wissen. Er will eine Erklärung. Das wissen die deutschen Synchronisatoren natürlich.

Deswegen geht die Szene so:

Erster Polizist: "Sie sind nochmal davongekommen."
Zweiter Polizist: "Ohne uns lägen Sie jetzt hier tot auf dem Boden."
Der Polizeichef: "Nein. ... [Er zeigt die Waffe] Er hat seine Waffe vorher entladen. Er hat uns herausgefordert. Eiskalt. ... Weil seine Rechnung nicht mehr aufging. Und er war mit sich selbst am Ende. ... So allein ... der Tiger im Dschungel."

Welch schönes und erbauliches Ende. Der Tiger im Dschungel, ganz allein, mit sich selbst am Ende. Wenn das keine einwandfreie Erklärung ist.

Und was ist die Moral? - Natürlich folgendes: Liebe Leser, schaut keine synchronisierten Filme, da werdet ihr nur beschissen.

Und noch eine Preisfrage an die Leser: Wie zum Teufel tippt man ein c cedille?

(an bou: bitte korrigier doch die etwaigen fehler in meiner französisch-transkription. danke.)

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