Mittwoch, 24. Januar 2007

Von Helden und der UN

Bevor ihr denkt, dass ein Martialartist im Kokosnussweinrausch mich mit einer Machete aufgeschitzt hat (doch, so was passiert), hier endlich wieder ein Post.

Am Sonntag, nach meinem Eintrag, bin ich auf der Suche nach einem offenen Lokal noch ein wenig herumgelaufen. Ein Jugendlicher meinte, es sei heute gefaehrlich, ein Bus sei mit Steinen beworfen worden. Wir haben uns dann zusammengetan, ich habe ihn zum Essen eingeladen. Kurz zu seiner Person: Roi wohnt nicht weit von meinem Guesthouse entfernt, schreibt eine These ueber das timoresische Mitgiftsystem. In einem Satz: Man muss den Eltern seiner Braut einen Bueffel schenken. Wie's scheint, gibt es viele Fremde (hier malae genannt, anscheinend leicht abschaetzende, aber sehr gaengige Bezeichnung), die sich hier eine Frau suchen und dann zuruecklassen, wenn sie wieder weggehen. Meine Frage, ob man denn den Bueffel zurueckkriegt, hat er nicht ernst genommen. Habe ich schon erwaehnet, dass es hier sehr viele schoene Frauen gibt? Die meisten mit sehr vielen schoenen Kindern.

Zurueck zur Gefahr. In den letzten Naechten gab es ziemlich viele Zwischenfaelle, rund vier Tote meinen Informationen nach. Ich bekomme nicht alles mit, weil es keine englische Lokalpresse mehr gibt, die UN ihre Webseite nicht schnell updaten. Am Nuetzlichsten ist timor-online.blogspot.com, das meiste jedoch auf portugiesisch. Die UN-Mitarbeiter haben ihre eigenen Informationsquellen, an die ich nicht angeschlossen bin. Nachts habe ich ein paar Schuesse gehoert, der UN-Hubschrauber ist die ganze Nacht hindurch seine Runden gedreht.

Grob gesagt kaempfen ein paar Martialartsbanden, in den vergangenen Tagen vor allem sete-sete und PSHT, gegeneinander. Ich habe Kontakt mit einem Anfuehrer von PSHT hergestellt, aber er hatte keine Lust zu reden, es sei jetzt alles kompliziert, nein, in den naechsten Tagen sei er in einem Trainingscamp ausserhalb Dilis usw.

Am Montag habe ich ein sehr interessantes Interview mit der executive director der Frauenorganisation Rede Feto gefuehrt, ueber die Krise von einer gender issues (d.h. feministischen - es gibt hier keine schwullesbitransintersex Organisationen, obwohl es viele Menschen mit uneindeutigem Geschlecht gibt) Perspektive aus betrachtet.

Auesserst fruchtbar war Dienstag. Ich habe Arte Moris besucht, eine Kunstschule, gegruendet von einem Schweizer Ehepaar, mit eigenen Mitteln finanziert. Kostenloser Unterricht, senior Studenten wohnen in der Schule (wo auch bis zu 500 Fluechtlinge untergebracht waren und verpflegt wurden) und bekommen einen Teil vom Erloes, wenn Bilder verkauft werden, vor allem an timoresischen Gemeinschaften im Ausland, da der Bevoelkerung hier die Mittel fehlen. Ein paar Bilder behaelt die Schule, um sie spaeter an ein timoresisches Nationalmuseum uebergeben zu koennen, als Anfang einer Sammlung. Sehr friedliche Atmossphaere. Positive Vibrations (auch viele Rastafaris).Ich habe an einem Workshop zu Comiczeichnen teilgenommen. Habe mit der Dozentin geplaudert, Claudia aus Chile. Sie hatte eine sehr aufregende Kindheit. Da ihr Vater in vielen Laendern fuer die UN gearbeitet hat, ist sie viel herumgereist. Sie hat mir in einem ihrer ersten Saetze gesagt, dass sie chronisch depressiv ist (sehr schoen, wenn Leute so offen sind), vor allem wenn sie in Chile ist, und deshalb will sie auch nicht zurueck, sondern nach Australien, um dort Drama zu studieren. Als Kind haette sie in der Schule immer die Hauptrollen gekriegt.

Lucca, der Gruender der Schule, hat viel auf die UN geschimpft, Inbegriff von Inkompetenz, Buerokratie und Ineffizienz. Natuerlich hat er Recht.

Ich habe mich dann mit einem jungen Kuenstler unterhalten, Savio, ein sehr ernster Typ, sehr beeindruckend. Er drueckt sich in seinen Bildern aus, scheint ihm viel Sicherheit zu geben, er versucht nicht alles, was hier vorgeht, zu erklaeren. Im Februar stellt er Bilder in Melbourne aus, dann sehe ich ihn hoffentlich wieder.

Arte Moris hat mich sehr beeindruckt. Wenn in Osttimor alles so funktionieren wuerde, gaebe es keine Probleme. Doch solche Projekte kann keine UN auf die Beine stellen. Sehr schade, dass ich selbst nicht kuenstlerisch veranlagt bin. Ein Comic, der die Geschichte Osttimors erzaehlt, im Stil von Art Spiegelmans Maus oder den Buechern einer bestimmten iranischen Comiczeichnerin, deren Namen ich vergessen habe, ist genau, was man braucht. Aber den muss ein Timorese zeichnen.

Savio hat mir die Telephonnummer von Max Stahl gegeben, mich aber gewarnt, Max sei immerzu busy.

Ganz so busy war er dann doch nicht. Wir haben uns am Abend in der Lounge des Timor Hotel getroffen - Luxushotel und Ort schlechthin fuer einen Kaffee spaet abends. Max Stahl ist ein Held. Er hat in Osttimor und in vielen anderen Krisengebieten Filme gedreht und hat dabei unzaehlige Male sein Leben riskiert. Vor allem hat er Aufnahmen vom Santa Cruz Massaker gemacht, die viele Menschen erstmals auf die Menschenrechtsverstoesse unter der indonesischen Besatzung aufmerksam machten. 1999, nach dem Referendum, als die UN das Land verliessen, nachdem die proindonesischen Milizen mit Hilfe der regulaeren indonesischen Armee ganz Dili niederbrannten (die Luftaufnahmen der Ruinen sind erschuetternd) und innerhalb einer Woche 5000 Menschen umbrachten, blieb Max hier und folgte der Bevoelkerung in die Berge. Zusammen mit John Malinkus ist er einer der Journalisten, die durch ihre Arbeit in Osttimor viel zur Unabhaengigkeit beigetragen haben.

Ich sass also mit Max Stahl in der Hotellounge, und wir haben uns vor allem ueber die momentane Situation unterhalten, auch er nimmt die UN nicht sehr ernst, auch wenn ich immer wieder Fragen habe einfliessen lassen, um Biographisches aus ihm herauszukitzeln. Er hat meine Ansicht bestaetigt, dass eines der Hauptprobleme ist, dass das Gefuehl nationaler Einheit, das waehrend des Unabhaengigkeitskampfes sehr stark war, nicht in die Rekonstruktionsphase hinuebergerettet wurde. Zum Teil ist die UN daran schuld. Sie sind hier angekommen mit ihren fertigen Vorstellungen, wie ein Staat zu funktionieren hat. Zu einer Regierung der nationalen Einheit, die als Uebergang zu einem Mehrparteiensystem geplant war, ist es nie gekommen. Vor allem hat die UN den Timoresen zu viel Verantwortung abgenommen, so dass viele die Institutionen nicht als IHRE Institutionen empfinden. Deshalb die Entfremdung, deshalb die Gewalt. Hinzu kommt natuerlich die Rivalitaeten zwischen verschiedenen Gruppen, Korruption und Nepotismus (viele Verwandte, viele Freunde) usw.

Fazit: Die interessantesten Menschen haben keinen Job, sondern machen, was sie fuer wichtig halten. Arbeiten fuer sich selbst und nicht fuer irgendeine Organisation. Zum Glueck werde ich jetzt fuer mein Studium bezahlt, so weiss ich wenigstens, wieso ich studiere.

Dann bin ich - mittlerweile war es dunkel - zu Fuss nach Hause gelaufen. Um die Zeit fahren keine Taxis mehr. Die Stadt war wie ausgestorben, sehr gespenstisch.

Heute habe ich mit Jose gesprochen. Er arbeitet fuer das CAVR, die Kommission fuer Frieden und Versoehnung, oder so aehnlich. Er hat auch erzaehlt von 99, als er in die Berge fluechtete. Seine schwangere Frau wurde nach Westtimor deportiert. Monate lang hoerte er nichts von ihr. Dann erzaehlt jemand ihm, er habe einen Sohn bekommen. Am gleichen Tag hoerte er, sein Sohn sei gestorben.

Die interessantesten Gespraeche habe ich nicht auf Tonband. Und wenn ich das Geraet einschalten wuerde, wuerde wahrscheinlich weniger Interessantes herauskommen. Aber es macht auch keinen Sinn, hier Gespraeche zu sammeln. Was soll ich damit machen? Ein Archiv anlegen? Eine Privatsammlung mit Fragmenten aus TL?

Bei Interviews gibt es ein bestimmtes Dilemma: Wichtige Typen lassen sich besser verkaufen, reden aber nur langweiligen Mist. Wenn jemand eine wichtige Position innehat, kann er nicht aus seiner offiziellen Rolle hinausgehen, und rattert nur Standardsprueche ab.

Heute habe ich den Chef der UN-Mission interviewt. Sehr schwierig, Inhalt reinzubringen. Man stellt eine kleine Frage, und schon rattert sie los, die Antwortmaschine, mit eingeschaltetem Autopiloten. Ich haette das Interview ein wenig anders drehen muessen. Vielleicht ein ein wenig provozierende Frage am Anfang, um den Typen auf dem falschen Fuss zu erwischen. Aber spaeter ist man immer klueger.

Am Abend werde ich versuchen, ein IDP-Lager zu besuchen. Ich habe gestern einen Timoresen getroffen, der im Jardin wohnt, einem Lager direkt vor dem Timor Hotel und bekannt als Unruheherd.

Vor allem werde ich versuchen, ein Treffen mit dem Rebellenanfuehrer Alfredo Reinado zu arrangieren. Ich weiss nicht, ob das mich klueger machen wuerde. Auf jeden Fall waere es eine gute Story und wuerde mir einen Grund geben, aus Dili rauszugehen.

Keine Kommentare: