Donnerstag, 25. Januar 2007

Dili im Fluss

In meiner Kindheit war Zebrastreifen eines der wichtigsten Woerter. Jetzt wirkt es wie ein Exot. In dem Wort steckt so viel Kindheit wie ansonsten nur in dem rosafarbenen Erdbeereis, das man mit einem roten Stiel in einer Plastiktube hochdruecken musste, um es oben wegzulecken. Dachte ich, als ich heute nacht in Roys The God of Small Things las. Zebra crossings. Ich konnte nicht schlafen.

Gestern hat es endlich wieder anstaendig geregnet. Ich liebe diese Stadt, wenn die Luft sich mit Feuchtigkeit fuellt, und sich dieses Gefuehl von Geborgenheit herstellt. Und der Himmel faerbt sich lila. In diesen Momenten ist es egal, wohin man sieht oder die Kamera richtet. Es ist unmoeglich, etwas zu sehen, was nicht wunderschoen waere.

Habe ich ihn schon erwaehnt, den Flow in Dili? Gestern abend ging ich am Strand spazieren. Alle fuenf Meter trifft man auf jemanden, der einen anlacht (wenn man selbst den Augenkontakt sucht und freundlich ist) und gruesst, der einen fragt ba nebe? wohin?, und man kann einfach stehen bleiben und ein wenig plaudern. Der Strom aus Freundlichkeit reisst nicht ab. Ganz anders als in westlichen Laendern, wo man sich von Insel zu Insel hangelt, von den Mitbewohnern ueber die Nachbarin zu den Arbeitskollegen. Der Unterschied war frappierend, als ich an meinem Ziel, einem von malae besuchten Strandcafe, ankam. Kein Blickkontakt, kein Laecheln. Die meisten Osttimoresen reichen einem die Hand auf eine sehr sanfte Art. Die Haende laesst man oft noch waehrend des Gespraechs ineinander ruhen. Und wenn man die Hand zurueckzieht, dann laesst man die Haende aneinander entlang gleiten, wie ein Streicheln.

Der Flow ist etwas Wichtiges, etwas sehr Zentrales. Denn dieses Blog ist Teil des Planes, den geistigen Flow am fliessen zu halten. Der Flow, der einen staendig umgibt, aus dem man nie rauskommt, der nie abreisst, ist die Utopie der Postmoderne. Am Anfang kann es unangenehm wirken, es wird einem der Boden unter den Fuessen weg gezogen, der Boden, der nicht nur Text sein soll. Aber das Bild hat einen sehr positiven Aspekt, Geborgenheit im Text, Dichte, Waerme. Wie in einem Film von Alomodovar. Ironischerweise kann ich mein Umfeld ja nur sehr wenig beeinflussen, und mit vielem will man nichts zu tun haben, also laufen meine Plaene (die vielen anderen hier noch nicht vorgestellten) darauf hinaus, doch wieder Inseln zu schaffen, wenn auch Inseln des Flows.

Ich habe mit zwei poolspielenden Un-Polizisten aus dem Yemen geplaudert. Schande ueber Yemen. Waere ihr Land, diese Terroristenbrutstaette, nicht schon ein Sandhaufen, sollten Gott oder die Amerikaner es zu einem machen. Die ersten Yemeniten, die ich hier getroffen habe und die ich um Auskunft gefragt haben, konnten gerade mal genug English um Dono zu grummeln. Die beiden anderen beklagten sich jetzt ueber den Mangel an Prostituierten, und sowieso sei das nicht rein, nein, ordentliche Timoresinnen muesste man vernaschen koennen, ja, sie haetten Familie in Yemen, aber die sei ja weit weg. Wenn die UN in dein Land kommt, verstecke deine Toechter! Ein T-shirt kursiert unter der Hand in UN-Kreisen, mit einer Bulldogge drauf und dem Schriftzug: Be safe tonight. Sleep with a peacekeeper. Kein Wunder, dass der UN-Chefvertreter mir ungefragt irgendetwas von Null Toleranz erzaehlt hat.

Da muss ich natuerlich ein wenig erklaeren. Osttimor ist kein islamischer Polygamistenstaat und kein westliches Land, mit anything goes als oberstem sexualmoralischem Prinzip. Die Sitten sind katholisch, man heiratet frueh und hat viele Kinder, im Durchschnitt acht pro Frau. Man vernascht hier keine Frau. Und die Frauen sind so schoen, dass man alle fuenf Meter auf eine Frau trifft, mit der man nur allzu gerne acht oder wenigstens vier Kinder haben wuerde.

Das Mitgiftsystem ist wie es scheint doch leicht anders. Ich habe eine deutsche Anthropologin, Judith, getroffen, die in einem entlegenen Dorf (10 Stunden auf dem Lastwagen) Feldarbeit betreibt. Sie ist von einer timoresischen Familie als malae Kind adoptiert worden. Judith zufolge sind stehen Haeuser in frauengebenden und frauennehmenden Beziehungen zu einander. Hinzu kommen andere Beziehungen, die den Handel von Schweinen und Bueffeln usw. betreffen. Dadurch entstehe leicht der Eindruck, dass Frauen gegen Bueffel getauscht werden, was allerdings so nicht stimmt. Beide Bewegungen sind Teile eines groesseren Beziehungskomplexes. Und in der Praxis bestimmen die Frauen sehr wohl, wen sie heiraten. Auch wenn Beziehungen mit Maennern aus den falschen Haeusern mit viel Angst eingegangen werden. Wenn keine Kinder dabei rauskommen, dann weiss man jo, wieso.

Heute habe ich mit Leuten gesprochen, die Reinado fragen wollen, ob er mir ein Interview gestattet. Die Sache ist absolut streng geheim, und die Popularitaet dieses Blogs verbietet mir, hier weitere Informationen preiszugeben. Die Namen der Zeitungen, fuer die ich als Korrespondent regelmaessig schreibe, werden ihn wohl kaum beeindrucken, kennt ja auch niemand. Ich muss mich umhoeren, wo ich ein Auto mieten kann.

Wenn ich noch ein paar Wochen hierblieben wuerde (meine letzte Woche hat begonnen), wuerde ich meinen Anteil Gewalt sicher abbekommen. Mittlerweile habe ich kein Problem mehr damit, am spaeten Abend spazieren zu gehen. Obwohl ich gestern ein mulmiges Gefuehl hatte, als ich vom Cafe im Westen ins Zentrum zurueckging. Ich hoerte Schreie, es schien mir, als hoerte ich ein paar Schuesse. Ich horchte nach Rotorengeraeuschen. Aber hier klingen viele Autos wie kleine Hubschrauber. Auf meinem Weg gab's keine Probleme. Ich habe noch ein wenig mit Strassenverkaeufern geplaudert, mit Simi und Costa. Und doch habe ich in meinem Kopf tagtraumartig Situationen durchgespielt, Duckmanoeuver, Machete-aus-der-Hand-Ringen.

In der vergangenen Woche sind fuenf Menschen getoetet worden, 24 landeten verletzt im Krankenhaus. Eine ruhige Nacht in Rio.

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